Den Auftakt von Mussorgskys Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ bildet die „Promenade“, die das Werk in zahlreichen Variationen begleitet. Damit wies Mussorgsky seinen Zuhörern zugleich die Rolle des Betrachters zu – akustisch und zumindest gedanklich visuell streifen wir durch die Galerie und betrachten die zehn Bilder von Mussorgskys Malerfreund Victor Hartmann in aller Ausführlichkeit.
Schon immer haben sich Musik und Malerei, Musiker und Maler gegenseitig inspiriert und beeinflusst. So verwundert es nicht, dass Maler von Farbtönen und Musiker von Klangfarben sprechen. Es gibt die Harmonie der Töne ebenso wie die der Farben. Farbskalen sind uns genauso bekannt wie Notenskalen. Farben und Töne werden sogar gleichermaßen in Wellenlängen angegeben – die einen in elektromagnetischen Wellen, die anderen in mechanischen Schwingungen.
Doch das war es auch schon an Gemeinsamkeiten. Physikalisch haben Malerei und Musik nur wenig miteinander zu tun. Es ist allein der Mensch und seine Wahrnehmung, der die beiden Welten immer wieder zusammenführen will. Die Verbindung von Musik und Malerei war und ist bis heute ein wichtiges Element der Kunst: Komponisten setzen in ihren Werken Bilder und Farben in Töne um – das gilt in besonderem Maße für die Programm-Musik, zu der auch die „Bilder einer Ausstellung“ gehört. Umgekehrt visualisieren Maler auf verschiedenste Weise Musik – die einen malen Musiker und ihre Instrumente, die anderen stellen die Auswirkungen von Musik auf den Menschen in Form von Tanz dar und wieder andere halten ihre Emotionen beim Hören von Musik malerisch fest.
Und wenn sie wie ich die Physik doch ein wenig in die Pflicht nehmen möchten, sieht das so aus: Farbbeziehungen werden spätestens seit Isaac Newton in einem Farbkreis abgebildet; Johann Wolfgang von Goethe hat später daraus die Farbenlehre entwickelt. Den 12 Farben lassen sich 12 Töne zuordnen. Die „Vergabekriterien“ sind nicht einheitlich. Ich habe mich an einem Modell orientiert, welches Gelb als der hellsten Farbe den Ton Ais zur Seite stellt.
Das Leitthema der Promenade besteht aus 9 Tönen, die in diesem Bild dargestellt sind. Da sich die Tonhöhe durch die Farben ergibt, ist eine Anordnung der 9 Töne auf den Notenlinien aus musikalischer Sicht nicht erforderlich, aus Gründen der Dynamik für mich in diesem Bild aber eine Notwendigkeit.
Während Blasinstrumente und Saiteninstrumente in der Lage sind, durch Ansatzveränderungen (Bläser) oder Saitenziehen (Gitarre, Bass, Geige) Zwischentöne wie die Blue Note oder fließende musikalische Übergänge zu erzeugen, ist eine freie Intonation auf Tasteninstrumenten nicht möglich. Und so breiten sich die einzelnen Töne nur in der Vertikalen in den Tonraum aus und bleiben in der Horizontalen in der durch die Klaviatur vorgegebenen Tonspur.
Doch letztlich ist das alles graue Theorie, denn die eigentliche Qualität der Verbindung von Malerei und Musik liegt nicht nur jenseits physikalischer Denkmuster, sondern vor allem und ausschließlich im Auge des Betrachters.